Die stille Macht

Manchmal offenbaren sich die tiefgreifendsten Einsichten nicht in strategischen Modellen oder Marktanalysen, sondern in den Grundfesten persönlicher Erfahrungen. Dieser Artikel ist mehr als eine Untersuchung unternehmerischer Dynamiken; er ist auch eine Rückkehr zu meinen Wurzeln – zu den Fragen, die mich vor 25 Jahren dazu inspirierten, die Verbindung zwischen Wirtschaft, Gesellschaft und Ethik neu zu denken. Das nachfolgende Vorwort ist eine Hommage an diese Ursprünge, während es den Boden für die Herausforderungen bereitet, denen sich Unternehmen heute in der Auseinandersetzung mit ihrer «License to Operate» stellen müssen.

Vorwort

Fast auf den Tag genau sind 25 Jahre vergangen, seit ich am 29. September 1999 meine Diplomarbeit bei Prof. Dr. Hartwig Bartling im Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz einreichte. Bereit, die beruflichen Türen zur internationalen Entwicklungszusammenarbeit aufzustossen. Sein Fachgebiet – Wettbewerbs- und Deregulierungspolitik, Umwelt- und Verkehrspolitik sowie Agrarpolitik und ausgewählte Fragestellungen der Regional- und Beschäftigungspolitik – faszinierte mich mehr als sämtliche anderen Themen auf meinem Weg zum Volkswirt.

Prof. Bartling war für mich stets mehr als nur ein Förderer auf dem Weg zu einem akademischen Abschluss. Er war und ist ein Inspirant – jemand, der es von Anfang an verstand, zukunftsorientierter Wirtschaftspolitik Leben einzuhauchen und mit praktischen Beispielen den Funken zu entzünden, vieles von Grund auf neu zu denken. Durch ihn begann ich, die entscheidende Frage zu stellen: Wie kann ich das Gelernte nutzen, um die Welt ein kleines Stück zu verbessern?

Für diese unvoreingenommenen Herangehensweisen bin ich ihm noch heute dankbar und sehe in ihm bis heute ein Vorbild. Ihm möchte ich an dieser Stelle nach so langer Zeit meinen tiefen Dank aussprechen – als Mensch, der ein Vorbild fand, und als Schüler, der fürs Leben lernte.

Hätten Sie, lieber Herr Bartling, damals gedacht, dass das Thema meiner Diplomarbeit, «Infrastrukturprojekte mit externen Kosten: Grundsätzliche Problematik und beispielhafte Konkretisierung unter regionalpolitischen Aspekten», auch 25 Jahre später noch so aktuell sein würde?

Warum Unternehmen ihre «License to Operate» neu verhandeln müssen

Wenige Entwicklungen in der modernen Wirtschaft stellen Unternehmen vor grössere Herausforderungen als der zunehmend subtile, aber unaufhaltsame Wandel in den Erwartungen der Öffentlichkeit. Der Glaube, wirtschaftlicher Erfolg liege allein in strategischen Entscheidungen und Marktgesetzen, greift heute zu kurz. Entscheidend für den Fortbestand eines Unternehmens ist die «License to Operate» – eine unsichtbare, aber unverzichtbare Zustimmung der Gemeinschaft. Diese soziale Akzeptanz, ohne die wirtschaftliches Handeln unmöglich wird, gerät immer stärker in den Fokus. Doch was geschieht, wenn diese Lizenz schwindet? Wie können Unternehmen sicherstellen, dass sie diese existenzielle Genehmigung nicht verlieren?

Die Frage ist nicht mehr, ob Unternehmen profitabel agieren können, sondern ob sie es dürfen. Im globalen Spannungsfeld zwischen gesellschaftlichen Ansprüchen und ökonomischem Überleben ringen Unternehmen darum, nicht nur ökonomisch zu bestehen, sondern auch sozial und ökologisch akzeptiert zu bleiben. Die «License to Operate» ist längst kein statischer rechtlicher Titel mehr – sie wird Tag für Tag neu verhandelt, von einer Gesellschaft, die zunehmend Einfluss nimmt. In einer Zeit, in der soziale Bewegungen und Umweltaktivismus weltweit an Gewicht gewinnen, stellt sich die drängende Frage: Wie viel Kontrolle haben Unternehmen noch über ihre eigene Zukunft, und wie können sie sicherstellen, dass ihnen diese «License to Operate» nicht schleichend entzogen wird?

Abgrenzung und Definition des Begriffs «License to Operate»

«License to Operate» – dieser Begriff steht nicht länger für formale Genehmigungen, sondern für die soziale Akzeptanz, die Unternehmen benötigen, um agieren zu können. Er beschreibt die fragile, oft unsichtbare Zustimmung, die Unternehmen von den Gemeinschaften erhalten, in denen sie tätig sind. Diese Zustimmung ist keineswegs selbstverständlich, insbesondere, wenn es um sogenannte «Locally Unwanted Land Uses» (LULUs) geht. LULUs umfassen Projekte oder Infrastrukturen, die zwar ökonomisch notwendig sind, jedoch in den betroffenen Gemeinden häufig auf Ablehnung stossen – etwa Industrieanlagen, Deponien oder grossangelegte Infrastrukturprojekte. Die Auswirkungen solcher Vorhaben auf die Umwelt oder die Lebensqualität machen sie zu Symbolen für den Widerstand lokaler Gemeinschaften.

In dieser Konfliktzone zwischen unternehmerischem Nutzen und lokaler Akzeptanz entfaltet sich die wahre Bedeutung der «License to Operate». Es geht nicht mehr nur darum, gesetzliche Vorgaben zu erfüllen, sondern darum, im ständigen Dialog mit der Gesellschaft eine Balance zu finden. Wenn diese Balance kippt, steht das Unternehmen selbst auf dem Spiel. Denn ein Unternehmen, das von der Gemeinschaft nicht mehr akzeptiert wird, verliert nicht nur das Vertrauen, sondern letztlich seine Existenzberechtigung. Die Herausforderung besteht also darin, sicherzustellen, dass Geschäftsmodelle auf ethisch vertretbaren Grundlagen beruhen, die den Bedürfnissen der Gesellschaft gerecht werden.

Herausforderungen und ethische Implikationen für Unternehmen

Unternehmen sehen sich in einem komplexen Spannungsfeld: Einerseits müssen sie wirtschaftlich erfolgreich agieren, andererseits stehen sie unter dem wachsenden Druck, sozial und ökologisch verantwortlich zu handeln. Die «License to Operate» verlangt von Unternehmen, über das eigene wirtschaftliche Wohlergehen hinauszudenken und Verantwortung für die Auswirkungen ihres Handelns zu übernehmen. Dies stellt viele Unternehmen vor tiefgreifende Herausforderungen, insbesondere wenn lokale Gemeinschaften Widerstand gegen ihre Aktivitäten leisten.

Ein zentrales Risiko besteht darin, die Erwartungen der Gemeinschaften zu missachten. Unternehmen, die ihre Pläne durchsetzen, ohne auf die Bedürfnisse und Sorgen der Bevölkerung einzugehen, riskieren Proteste, Boykotte und den Verlust ihrer sozialen Akzeptanz. Doch die grösste ethische Herausforderung liegt nicht in den offensichtlichen Umweltbelastungen, die viele Projekte mit sich bringen, sondern in der Art und Weise, wie Unternehmen mit den betroffenen Gemeinschaften interagieren. Transparenz und Dialog sind hier entscheidend. Unternehmen müssen zeigen, dass sie nicht nur die gesetzlichen Anforderungen erfüllen, sondern bereit sind, über diese hinauszugehen und nachhaltige, ethisch fundierte Lösungen zu entwickeln. Nur so können sie ihre «License to Operate» langfristig sichern.

Der methodische Ansatz zur Lösungsfindung

Wie aber kann diese ethische Balance konkret erreicht werden? Der Schlüssel liegt in einem dynamischen, agilen Lösungsansatz, der Unternehmen dabei unterstützt, sowohl wirtschaftlich erfolgreich als auch gesellschaftlich verantwortlich zu handeln. Dabei ist kein starrer, universeller Ansatz geeignet. Vielmehr muss jede Lösung individuell auf das spezifische Umfeld des Unternehmens und die Bedürfnisse der beteiligten Gemeinschaften zugeschnitten werden.

Dieser Ansatz lässt sich in vier Schritten umsetzen:

  1. Stakeholder-Mapping und Bedürfniserfassung: Der erste Schritt besteht darin, die relevanten Stakeholder – von der lokalen Bevölkerung über Behörden bis hin zu NGOs – systematisch zu identifizieren und ihre Erwartungen zu erfassen. Dies erlaubt es, die verschiedenen Perspektiven und Prioritäten zu verstehen und die potenziellen Konfliktfelder zu erkennen.
  2. Risikobewertung und Chancenanalyse: Auf Grundlage der Stakeholder-Bedürfnisse erfolgt eine detaillierte Bewertung der Risiken – sowohl ökologisch als auch sozial. Dies erlaubt es, potenzielle Konflikte frühzeitig zu erkennen und entsprechende Massnahmen zu entwickeln. Gleichzeitig können neue Chancen identifiziert werden, etwa durch den Zugang zu Märkten, die ethische Geschäftspraktiken fordern.
  3. Entwicklung massgeschneiderter Lösungen: Basierend auf den gewonnenen Erkenntnissen werden individuelle Lösungsstrategien entwickelt, die sich dynamisch an die Bedürfnisse der Gemeinschaft anpassen. Dieser Ansatz ist nicht nur auf kurzfristige Gewinne ausgelegt, sondern integriert langfristige, ethisch vertretbare Handlungsoptionen, die die Gesellschaft mit einbeziehen.
  4. Implementation und Monitoring: Der letzte Schritt besteht in der kontinuierlichen Überwachung und Anpassung der umgesetzten Lösungen. Ein systematisches Monitoring erlaubt es, sowohl die wirtschaftlichen als auch die ethischen Ziele im Auge zu behalten und flexibel auf neue Herausforderungen zu reagieren.

Dieser methodische Ansatz gewährleistet, dass Unternehmen nicht nur formell ihre «License to Operate» erhalten, sondern auch die gesellschaftliche Zustimmung gewinnen und bewahren.

Praxisbeispiel: Patagonia

Ein beeindruckendes Beispiel für den erfolgreichen Erhalt der «License to Operate» ist Patagonia, das seit seiner Gründung konsequent auf Nachhaltigkeit setzt. Patagonia verwendet in seiner gesamten Produktionskette umweltfreundliche Materialien und setzt sich aktiv für Umweltschutzprojekte ein. Durch transparente Kommunikation über die eigenen Umweltbelastungen und den offenen Dialog mit der Öffentlichkeit hat das Unternehmen ein tiefes Vertrauen bei seinen Kund*innen und Stakeholdern aufgebaut. Die Anti-Konsum-Kampagne «Don’t Buy This Jacket» ist zu einem Symbol für Patagonias ethische Integrität geworden. Dieses Beispiel zeigt, wie eine klare ethische Haltung nicht nur das Vertrauen der Gemeinschaft festigt, sondern auch langfristigen wirtschaftlichen Erfolg ermöglicht.

Was bleibt?

Die «License to Operate» ist heute kein verhandelbares Gut mehr, sondern ein sozialer, ökologischer und wirtschaftlicher Imperativ. Unternehmen, die ihre Geschäftstätigkeit erfolgreich fortführen wollen, müssen in der Lage sein, mehr zu geben, als sie nehmen. Es geht um den Aufbau und die Erhaltung eines langfristigen Vertrauensverhältnisses, das durch Transparenz, ethische Verantwortung und nachhaltiges Handeln geprägt ist.

Die Frage, die sich jedes Unternehmen stellen muss, lautet nicht: Wie erreiche ich kurzfristige Profite? Sondern: Wie kann ich dauerhaft Akzeptanz und Zustimmung gewinnen? Denn nur die Unternehmen, die den schmalen Grat zwischen wirtschaftlicher Rentabilität und sozialer Verantwortung sicher beschreiten, werden sich in einem zunehmend anspruchsvollen Markt behaupten. Ihre «License to Operate» hängt davon ab.

 

Picture of Thomas Trams

Thomas Trams

Als Gründer, Berater und diplomierter Volkswirt setze ich mich für ethische Geschäftspraktiken und die stetige Entwicklung von Unternehmen ein. In meinen Blog-Beiträgen auf Medium und LinkedIn teile ich fesselnde Einblicke in innovative Technologien, wegweisende Designkonzepte und weitere faszinierende Themen, die Unternehmen und öffentliche Institutionen voranbringen.

Diese Website verwendet Cookies und bearbeitet anonymisierte Nutzerdaten. Wir verzichten auf den Einsatz von Google Analytics, Google Fonts, Google Maps und Google reCaptcha. Zur Erhebung von Nutzerdaten nutzen wir «Matomo Analytics — Ethische Statistiken. Nachhaltige Erkenntnisse.» Eine Lösung, die Nutzerdaten allein auf unserem Server in der Schweiz speichert. Wenn Sie genauere Informationen hierüber möchten, lesen Sie bitte unsere Daten­schutz­erklärung.